Los: 323
Weisgerber, Albert
Blick Dachau mit der Amper im Vordergrund, rückseitig Mädchenporträt (Elsabeth Kündinger). Öl/Karton, 49 x 40,5 cm. Besch., unsign. Ein Frühwerk von Weisgerber aus seiner Zeit an der Akademie.
Bestätigung und O-Ton der Schauspielerin Elisabeth-Wicki-Endriss
"Else Kündinger – als Elisabeth Marie "Else", am 5.5.1885 in Mannheim geboren, war die Tochter des damals bekannten Cellisten Kanut Kündinger, der in seiner Glanzzeit über Jahre zu Konzerten am Petersburger Hof geladen war.
Mein Vater, Hanns Oettl, geboren 1901 lernte Else Kündinger Anfang der 20er Jahre in einem der Künstler- Cafes der Münchner Bohème kennen. Zu der Zeit war sie wohl bereits am Residenztheater für Kostüm- und Ausstattung zuständig. Sie wurde meines Vaters Mentorin, begleitete seine Ausbildung als Schauspieler und seinen weiteren Weg – die beiden verband eine lebenslange Freundschaft.
Nach der Heirat meines Vaters 1942, wurde sie die Patentante meines Bruders, der – sehr zu seinem Leidwesen – den Vornahmen ihres Vaters „Kanut“ erhielt, den er später in „Knut“ umwandelte. Zwei Jahre später wurde sie ebenfalls meine Patentante, wobei ich das Glück hatte, nicht als „Else“, sondern auf den Namen „Elisabeth“ getauft zu werden.
An meinem 18. Geburtstag schenkte sie mir eine Biedermeier Brosche, die ihrem Vater am Petersburg Hof überreicht worden war, und das Bild von Albert Weisgerber, das sie selbst darstellt.
Aus diesem Anlass erzählte mir meine Patentante aus der frühen Studienzeit von Weisgerber und ihr, als beide an der Akademie der Künste München Malerei studierten. Alle jungen, ambitionierten Künstler Münchens verkehrten in der berühmt, berüchtigten Bohème, die Thomas Mann später mit den Worten „München leuchtete …“ würdigte. So auch Else und Albert. Dass keiner dieser kreativen jungen Menschen Geld hatte, spielte dabei eine eher untergeordnete Rolle.
Weisgerber war zu diesem Zeitpunkt noch sehr stark vom französischen Impressionismus geprägt – erst später begann er sich dem aufstrebenden Expressionismus zuzuwenden, bevor er sehr jung im ersten Weltkrieg gefallen ist.
Else und Albert wandten sich auch der „Dachauer Schule“ zu. Diese Amper- Landschaft inspirierte sie zu Ölskizzen, und aus Ermangelung an Geld bemalten sie meist beide Seiten gebrauchter Pappe. So auch besagtes Bild. Er malte Else Kündinger, baute einen Rahmen so recht und schlecht zusammen, wischte mit Farbe einmal drüber, und schenkte es ihr. Dieses Bild ist nicht beschädigt, sondern als „Ölskizze“ auf alter, an den Rändern teilweise mürber Pappe nicht komplett ausgemalt. Der Rahmen ist so original wackelig, wie Weisgerber ihn gefertigt hatte. (An den Ecken habe ich ihn vor ca. 30 Jahren mit winzigen Nägelchen und Plastikfaden etwas zu stabilisieren versucht – was man natürlich entfernen kann).
Meine Patentante gab mir ein – von ihr – handgeschriebenes Zertifikat, das die Echtheit der Ölskizze von Albert Weisgerber bestätigte. Dieses kleine Dokument mag es noch geben irgendwo in den alten Kartons der Erinnerungen – das doch wohl eher für immer verborgen bleiben wird.
Else Kündinger hatte als alte Dame erstaunlicher Weise noch immer eine gewisse Ähnlichkeit mit der jungen Frau auf Weisgerbers Ölskizze. Darum ein kleines Foto anlässlich meiner Konfirmation.
Ich versichere, dass es sich um ein Ölbild von Albert Weisgerber aus der frühen Schaffenszeit handelt und – wie aus seiner Geschichte hervorgeht – wohl in keinen offiziellen Annalen verzeichnet sein wird.
Elisabeth Wicki Endriss, München, August 2020
Else (Elisabeth Marie) Kündinger
Geb. 1885 Mannheim, Schauspielerin in Berlin und München.
Sie war die Tochter des deutsch-russischen Cellisten
Kanut Kündinger ( 1830 Nördlingen -1915 St. Petersburg)
Auszüge aus den Tagebüchern des Schriftstellers
Erich Mühsam 1878 Berlin - 1934 KZ Oranienburg
Die Münchner Bohème um 1900
München, Dienstag, d. 6. Juni 1911
Schon wieder habe ich zwei Tage unausgefüllt gelassen. Es waren die Pfingstfeiertage und ich war inzwischen in Tegernsee. — Am Sonnabend nachmittag traf ich im Caféhause Rößler und Weissgerber und wir beschlossen, einen kleinen Poker zu machen, zu dem sich auch Meyer noch einfand. Ich gewann 42 Mark,......
München, Mittwoch, d. 7. Juni 1911.
Im Stefanie sitzt jetzt täglich ein wunderschönes Mädchen, in das ich mich beim ersten Sehen verliebt habe. Ich habe mich erkundigt: es ist ein Fräulein von Bach, eine Schülerin von Weissgerber. Emmy erzählte mir neulich, daß mich einige Damen der Weissgerber-Schule gern malen möchten. Wenn ich diese prachtvolle Blondine dadurch kennen lernen könnte, täte ich’s. Nur muß ich erst gesund sein, ehe ich mich wieder auf irgendwelche erotische Ausflüge begebe. –
München, Freitag (Sonnabend), d. 26. (27.) Januar 1912.
Um 2 Uhr ging ich dann noch in die „Blüte“, wo der Simplizissimus-Hausball stattfand. Ich kam in eine schon sehr ausgelassene Stimmung hinein. Alle waren schon reichlich angeheitert: Lotte, Uli, Strich, Seewald, Thesing, Kutscha und Frau, Alva, Tarrasch, die Kündinger, die reizend aussah (ich habe sie seit Jahren nicht gesehen gehabt),
München, Freitag, d. 9. Februar 1912
...und so küßte ich fröhlich weiter: die Kündinger, Emmy, einen homosexuellen jungen Italiener, Strich und sogar die häßliche Frau Kutscha
Elisabeth Kündinger, danach Elisabeth Wicki-Endriss.
Zuschlag: 3.500 €
26. September 2020 um 10:00